Zur Sendung vom 01. März 2024

  • Frankfurter Allgemeine Zeitung



    Drama des loyalen Mannes


    Jaume Cabré erzählt Bürgerkriegslügen


    Der spanische Schriftsteller Jaume Cabré führt uns zurück ins zwanzigste Jahrhundert: Er erzählt Geschichten aus rund sieben Jahrzehnten, die sich vorwiegend im felsigen Katalonien abspielen, in Spaniens Teil der Pyrenäen. Zentraler Schauplatz ist ein Ort namens Torena, eine Mischung von Dorf und Kleinstadt, deren Einwohner für alles stehen, was Menschen antreibt und umtreibt: Liebe und Hass, religiöse Demut und ideologische Verbohrtheit, Ehrgeiz und Gewinnsucht, Ängste jeder Art und Sehnsucht nach Geborgenheit. Im Grunde könnte dieses Torena überall auf Erden liegen, doch der Autor hat es auf den gebirgigen Norden jener spanischen Provinz fixiert, in deren Süden, in Barcelona, er selbst 1947 geboren wurde.


    Eine wesentliche Rolle spielt in diesem Buch der Spanische Bürgerkrieg. Der erfolgreiche Griff des Falange-Führers Franco nach der Macht ist das früheste der behandelten Ereignisse, doch keineswegs dasjenige, mit dem die Handlung einsetzt. Denn es ist die Eigenart dieses Romans, dass die einzelnen Geschichtsabschnitte, die ihm die Hintergründe liefern, nicht in historischer Reihenfolge präsentiert werden. Vielmehr dienen sie dem Autor als je nach Bedarf eingeblendeter Hintergrund für die jeweils wichtigen Aktivitäten seines Personals. So wechseln die Perspektiven und Erzählstränge häufig, zuweilen mehrmals auf ein und derselben Buchseite. Für den Leser ist das nicht immer einfach zu verarbeiten, besonders für den Nichtspanier oder auch nur den Nichtkatalanen. Dazu kommt die überwältigende Menge an handelnden Personen, die Fülle ihrer positiv oder negativ besetzten Beziehungen, in denen man sich nicht leicht zurechtfindet. Zu Beginn erinnert das an einen Traum, dessen Bilder, ständig wechselnd, ineinandergleiten. Geduld ist erforderlich. Wenn man diese aufbringt, wird aus dem Eindruck eines Traums eher der eines kühn geschnittenen Films.


    Im Mittelpunkt der Ereignisse steht der Lehrer des Ortes, Oriol Fontelles, ein Mensch mit zwei Gesichtern. Die Öffentlichkeit kennt ihn als braven, gehorsamen Falangisten. In Wahrheit aber ist er ein Widerstandskämpfer, weil er nicht darüber hinwegkommt, dass der falangistische Bürgermeister Valentí Targa einen halbwüchsigen Schüler erschossen hat, den Sohn einer republikanisch orientierten Familie. So lächelt Oriol nach der einen Seite und hilft auf der anderen Seite dem Maquis, der während des Zweiten Weltkriegs nicht nur gegen die Soldateska Hitlers, sondern auch gegen diejenige Francos kämpft. Das alles aber erfahren wir anhand von Vorkommnissen, die sich fast ein halbes Jahrhundert später zutragen. Da nämlich stößt die Lehrerin Tina, die jetzt in der Schule von Torena unterrichtet, auf versteckte Niederschriften von Oriol, und sie beschließt, diese Hinterlassenschaft des merkwürdigen, allseits missverstandenen Mannes der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.


    Es handelt sich um eine Folge von Briefen Oriols an seine Tochter, die nach dem Scheitern seiner Ehe zur Welt kam und ihm vorenthalten wurde. Von ihr wollte er geliebt und vor allem verstanden werden. Oriol erfuhr nie, dass seine Frau ihn belogen hatte. Ihm wurde gar keine Tochter geboren, vielmehr ein Sohn. Der aber geriet durch heimliche Adoption in die Familie der immens reichen Elisenda Vilabrú. Diese ungekrönte Königin Kataloniens war zeitweilig sowohl mit dem Maquisarden Oriol wie mit dem Falangisten Valentí Targa verbandelt. Eine fatale Liebesgeschichte und eine politische Tragödie gleichermaßen. Das Personal hätte sich gewiss auch unter anderen Umständen Herzeleid angetan. Wenn es dafür eines Beweises bedürfte, so liefern ihn die Geschichten der Menschen, die der Romanautor in unsere Gegenwart versetzt. Sie sind, was Unternehmungen und jeweilige Beziehungen angeht, nicht klüger und also auch nicht glücklicher als ihre Vorgänger, auch wenn die Konsequenzen heute weitaus weniger niederdrückender scheinen als im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts.


    Wir müssen bis zu den letzten Seiten des Buches warten, ehe wir erfahren, wie das Drama des doppelt loyalen, also doppelt illoyalen Mannes endet. Ausgerechnet Elisenda, die von allen ihren Bettgefährten nur Oriol wahrhaftig liebt, deckt durch Zufall dessen Doppelleben auf. Sie fühlt sich von ihm verraten, weshalb sie ihn verrät. Den Lehrer erschießt Bürgermeister Targa, der damit nicht nur Oriols Bindung zum Maquis bestraft, sondern auch die Täuschung durch den vermeintlichen Kameraden. In ferner Zukunft, in der Welt nach Franco, erfährt der Widerstandskämpfer eine späte Ehrung, allerdings eine, die ihn zu Lebzeiten tief entsetzt hätte: Elisenda, zur Greisin gealtert, setzt Beziehungen und Vermögen ein, damit der Papst in Rom den einst geliebten Mann seligspricht. Zwar hat sie ihm nie wirklich verziehen, sich selbst jedoch auch nicht. Die Seligsprechung ist ihre Art, sich zu arrangieren. Zur selben Zeit dringt in die Wohnung der Lehrerin Tina ein Schatten ein, zerstört die Oriol-Dateien in Tinas Computer und damit alle Beweise für die wahre Geschichte des Toten: Auf die doppelte Existenz folgt eine doppelte Vernichtung. Der Romanautor verrät nicht, wer der Einbrecher ist. Doch gibt er uns genügend Stoff für die Vermutung, es sei Elisendas ihr demütig ergebener Anwalt und damit im Grunde Elisenda selbst gewesen. Sie hätte damit den einstigen Geliebten endgültig in ihrem Sinne geformt.


    Politisch ist dieser Roman sehr aufschlussreich. Eine darauf reduzierte Lesart aber würde dem Werk nicht gerecht. Jaume Cabré hatte - das sagt uns jede Seite - mehr vor, als europäische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zu unterrichten. Ihm geht es um Menschengeschichte in einem speziellen, zeitlosen Sinn: um die Tragödien, in die jeder Einzelne sich und andere verstrickt, wenn er sich von Ideologien vereinnahmen lässt.


    SABINE BRANDT


    Quelle: https://www.buecher.de/shop/ba…id/23865411/#reviews-more

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